Wie eine Chemsex-Party zur Todesfalle wurde

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Verbrechen

Wie eine Chemsex-Party zur Todesfalle wurde

Bei einem Grindr-Date erwürgte der "Cannibal Cop Killer" in seiner Wohnung einen Polizisten und versuchte, die zerstückelte Leiche in Säure aufzulösen. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Collage: Marta Parszeniew; Foto von Stefano Brizzi: bereitgestellt von der Metropolitan Police; Foto vom Mobiltelefon: Wikimedia Commons | CC BY 3.0; Foto vom Säuregefäß: Wikipedia

Irgendwann wurde der Gestank des verrottenden Menschenfleischs aus Stefano Brizzis Wohnung zu viel. Die Nachbarn hatten keine andere Wahl mehr, als die Polizei zu rufen. Auf die Frage der Beamten, was passiert war, antwortete der Italiener ganz ruhig: "Ich habe ihn letzte Woche getötet, nachdem ich ihn auf Grindr kennengelernt hatte. Satan hat mir das befohlen."

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Diese Unterhaltung fand am 7. April 2016 statt. Fast eine Woche vorher irrte ein Mann, der vor Gericht nur als "CD" identifiziert wurde, durch einen Londoner Apartmentkomplex. Er suchte die Wohnung, in die er für eine Chemsex-Party eingeladen worden war. Aber selbst nach mehrmaligem Klingeln machte ihm niemand auf. Irgendwann hörte CD nur eine Männerstimme über die Gegensprechanlage: "Sorry, aber es ist gerade ungünstig." Auf Nachfrage erklärte die Stimme, dass sich jemand nicht gut fühle, es aber schon ginge. CD gab später vor Gericht zu Protokoll, dass die Stimme "etwas aufgebracht, aber nicht allzu besorgt" klang. Bei der Stimme handelte es sich um Stefano Brizzi, der beim Klingeln von CD laut eigener Aussage gerade dabei war, den Polizisten Gordon S. zu strangulieren.

Der 59-jährige Schotte arbeitete 30 Jahre lang bei der Londoner Polizei und befand sich in einer offenen Beziehung. Deswegen war es auch nicht ungewöhnlich, dass er an diesem Tag mit Brizzi auf Grindr in Kontakt kam. Er folgte dessen Einladung und zusammen verbrachten die beiden erstmal Stunden damit, auf diversen Schwulen-Dating-Apps noch andere Leute zur drogengeschwängerten Party einzuladen. Abgesehen von CD tauchte jedoch niemand auf. Vor Gericht beharrte Brizzi darauf, dass S.' Tod durch Strangulation ein Unfall war. Wie oben zu lesen ist, behauptete er beim Eintreffen der Polizei noch etwas Anderes. Aber wie konnte es überhaupt zu dem Verbrechen kommen?

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Foto: Stefano Brizzi

Stefano Brizzi wurde 1966 in der italienischen Kleinstadt San Marcello Pistoiese geboren. Mit 15 wurde ihm klar, dass er schwul war und damit im krassen Gegensatz zu den streng katholischen Ansichten seiner Familie stand. Ein Jugendfreund meinte gegenüber der Zeitung Il Terreno: "Vor 30 Jahren wurde man als Homosexueller ständig verurteilt. Stefano war ein sehr sensibler, junger Mann, der keinen inneren Frieden fand – eine gequälte Seele." Ein anderer Freund sagte: "Wie alle Homosexuellen meiner Generation hatte auch er es nicht leicht, Akzeptanz zu finden."

Schließlich ging Brizzi nach Florenz, um zu studieren. Danach blieb er dort und arbeitete als Programmierer. 2008 wurde ihm mit Anfang 40 HIV und Hepatitis C diagnostiziert. Diese Diagnose bezeichnete er als "Todesurteil", aber dank der richtigen Behandlung blieb Brizzi gesund. 2012 bekam er schließlich die Chance, nach London zu gehen und als Senior-Webentwickler bei einer Investmentbank anzufangen. Sein Onkel sagte später zur italienische Zeitung La Nazione: "Stefano hat sich bei seiner Arbeit in Florenz immer über das geringe Gehalt und die geringen Karrieremöglichkeiten beschwert. Deshalb träumte er davon, ins Ausland zu gehen, und nahm die Chance mit London direkt wahr. Er hat sich darüber unglaublich gefreut."

Letztendlich hielt es Brizzi keine drei Jahre bei der Investmentbank durch. In London kam er nämlich auch zum ersten Mal mit Drogen wie etwa Ketamin oder Crystal Meth in Berührung. Seine Meth-Sucht nahm schließlich ein solches Ausmaß an, dass ihn seine Vorgesetzten im Februar 2015 darum baten zu kündigen. Im darauffolgenden Jahr ging Brizzi zwar zu Crystal Meth Anonymous und einem Psychiater, aber der Polizei gegenüber behauptete er, dass keine dieser Maßnahmen anschlug. Die Beamten fanden eine Ausgabe der Satanischen Bibel auf Brizzis Computer sowie einen Notizblock mit handgeschriebenen Nachrichten an den Teufel. "Das Problem hier ist, dass Meth Psychosen hervorruft", erklärte der Italiener. "Ich bin in einem katholischen Umfeld großgeworden und Homosexualität war dort etwas Böses. Deshalb habe ich mich für Satan interessiert."

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Foto: Stefano Brizzi

Vier Tage nach S.' Tod ging Brizzi in einen Baumarkt und deckte sich dort mit Sägen, Plastikeimern, Säure und Reinigungsutensilien ein. Eine Überwachungskamera zeichnete auf, wie er sich einen der Eimer über den Schädel stülpte – wahrscheinlich, um sicherzugehen, dass da ein menschlicher Kopf reinpasst. Als diese Aufnahmen im Gerichtssaal gezeigt wurden, fragte der Staatsanwalt Crispin Aylett Brizzi, ob der sich hier von der Fernsehserie Breaking Bad inspirieren ließ. Darin lösen die beiden Protagonisten eine Leiche in Flusssäure auf. "Ich bin da ohne Vernunft rangegangen", antwortete der Angeklagte. "Ein richtiger Krimineller hätte das mit Sicherheit viel organisierter gemacht. Vielleicht hat mich die Serie tatsächlich inspiriert. Ich habe einfach gekauft, was da war, und gedacht, dass ich [S.' Leiche] auflösen kann."

Brizzi wollte den leblosen Körper jedoch noch auf eine andere Art und Weise verschwinden lassen. Vor Gericht hieß es, dass er das Fleisch des Opfers von den Knochen schabte und einen Teil davon mit Essstäbchen verzehrte. S.' DNA wurde in Brizzis Ofen, an den besagten Essstäbchen, auf einem Schneidebrett und in einem Kochtopf gefunden. Auf der Leiche befanden sich im Rippenbereich außerdem noch Bissspuren.

Als die Polizei Brizzis Wohnung betrat, schlug den Beamten der erschlagende Geruch von Reinigungschemikalien und verwesendem Fleisch entgegen. Sie fanden mehrere Müllsäcke, in denen Menschenfleisch, ein Beckenknochen, eine Hand und Teile der Wirbelsäule waren. Die Badewanne war mit einer blaugrünen Flüssigkeit gefüllt, in der eine Menge Fettkügelchen schwammen. Diese Flüssigkeit sollte sich als Natriumhydroxid und Salzgeist mit Flusssäure herausstellen. Brizzi hatte es nicht geschafft, die Leiche aufzulösen, weil er die Chemikalien nicht auf die benötigten 300 Grad Celsius erhitzen konnte.

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Nachdem er den Polizisten von Satans Auftrag erzählt hatte, holte Brizzi noch weiter aus: "Ich habe mit Satan gesprochen und er befahl mir zu töten. Ich nutzte gleich die erste Gelegenheit." Vor Gericht erzählte der Staatsanwalt die Geschehnisse dann weiter: "Daraufhin fragten die Beamten den Angeklagten, ob er psychische Probleme habe. Der sagte, dass er zwar viel Crystal Meth nehme, davon abgesehen aber alles in Ordnung sei."

Vor Gericht bestritt Brizzi, S. getötet zu haben. Er behauptete, dass dessen Tod ein Sexunfall gewesen sei. Schuldig bekannte er sich nur in Bezug auf die Behinderung der Arbeit des Gerichtsmediziners, weil er die Leiche ja entsorgen wollte. Am 13. November 2016 wurde der Italiener schließlich für beide Verbrechen schuldig gesprochen.

Der Richter verurteilte Brizzi zu einer lebenslangen Haftstrafe. Am 5. Februar dieses Jahres wurde er tot in seiner Zelle aufgefunden. Die Gefängnisbehörde teilte in einem Statement mit: "Der Häftling Stefano Brizzi starb am Sonntag, den 5. Februar, in Haft. Wie bei allen Todesfällen im Gefängnis wird auch hier eine unabhängige Untersuchung von Seiten der 'Prisons and Probation Ombudsman'-Organisation erfolgen." Für gewöhnlich dauert eine solche Untersuchung mehrere Monate und es kann bis zu einem Jahr dauern, bis man die Ergebnisse veröffentlicht.

Was hier bleibt, ist vor allem die Frage, wie ein eher unauffälliger und einfühlsamer Mensch überhaupt zu einem solch erschreckenden Verbrechen fähig war. Welche Rolle hat hier der Crystal-Meth-Konsum gespielt? Wie bereits gesagt, litt Brizzi laut eigener Aussage aufgrund der Droge unter Psychosen. Und hier besteht wirklich ein Zusammenhang: Australische Forscher haben in einer Studie herausgefunden, dass bei intensivem Meth-Konsum ein fünffach höheres Psychose-Risiko besteht als bei Abstinenz. So sagt Monty Moncrieff, der Geschäftsführer einer gemeinnützigen Organisation für das Wohlbefinden der Londoner LGBTQ-Community, auch: "Der Fall von Stefano Brizzi ist zwar ein sehr seltenes und extremes Beispiel, aber der negative Einfluss von Crystal Meth auf die geistige Gesundheit lässt sich dennoch nicht von der Hand weisen. Deshalb sollte man sich so schnell wie möglich Hilfe suchen, wenn man aufgrund des Konsums der Droge psychische Probleme bekommt."

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